Univ. Prof. Dr. Edvin Turkof

„Wir rekonstruieren und ergänzen Teile, die zwar die Natur gegeben, aber das Schicksal wieder zerstört hat, nicht so sehr zur Freude des Auges, sondern um den Betroffenen psychisch aufzurichten.”

– Gaspare Tagliacozzi

Der italienische Arzt Gaspare Tagliacozzi (1545-1599) beschreibt eine Methode, mit der Haut vom Unterarm zu einer Nase geformt wird

Genau das versucht die moderne Plastische Chirurgie auch mit der Brustrekonstruktion: Sie hilft den betroffenen Frauen, die operativen Folgen ihrer Brustkrebserkrankung besser zu verkraften, die anatomische Integrität ihres Körpers wiederherzustellen und ihnen dadurch Lebensfreude zurückzugeben.

Bedauerlicherweise verbindet der Laie mit dem Begriff der Plastischen Chirurgie die Vorstellung einer Schönheitsoperation, für die eine Notwendigkeit eigentlich nicht besteht.

Die 2600 Jahre alte Plastische Chirurgie war und ist allerdings primär rekonstruktiv; sie bildet die chirurgische Grundlage und damit den Ausgangspunkt für die erst ab 1850 langsam entstandene Ästhetische Chirurgie.

Die Rekonstruktive Brustchirurgie hat mich von Anfang an fasziniert, weil eine schön wiederhergestellte Brust Frauen wieder glücklich machen kann. Ich empfinde es als enormes Privileg, Auslöser für solche Gefühle zu sein.

Univ. Prof. Dr. Edvin Turkof
Facharzt der plastischen Chirurgie

Interview

Prof. Turkof, wie lange sind Sie schon Plastischer Chirurg?

Das Fach habe ich seit 1994 und medizinisch tätig bin ich seit 1982, also doch schon eine ganze Weile. Das sind schon viele Jahre an Erfahrung.

… was war eigentlich Ihre Motivation, Plastischer Chirurg zu werden?

Man muss den Job sehr wollen, weil es sich um ein Fach handelt, wo Ausbildungsplätze sehr rar sind. Für mich gab es einige Ansätze: Ich wollte immer schon mit meinen Händen arbeiten und hatte auch das Gefühl, dass ich über das notwendige Geschick verfüge. Ich wollte nicht um das Leben meiner Patienten kämpfen müssen, da fehlen mir die Nerven und die emotionale Distanz. Das unterscheidet meinen Beruf grundlegend von Internisten oder Onkologen. Und natürlich liebe ich das Schöne bzw. war immer von Schönheit, Ästhetik und Wiederherstellen der Funktionalität fasziniert. Die meisten Eingriffe meines Fachgebietes sind wirklich etwas ganz Besonderes: Stellen Sie sich vor, Sie nähen unter dem Mikroskop einen abgetrennten Finger wieder an die Hand an und beobachten mit 18facher Vergrößerung, wie das von Ihnen wiedervereinigte Gefäß, das einen Durchmesser von 0,5 mm hat, schön pulsiert … ein toller Anblick …

Sie arbeiten doch jetzt in Wien an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde an der Abteilung Brustkrebsbehandlungen? Wie kam es dazu?

Ja, das stimmt; aber das ist etwas komplex … 1984, ich hatte gerade mit meiner Facharztausbildung begonnen, war ich auf einem Kongress der Deutschen Plastischen Chirurgen in München, und da wurde per Satellit auf einen riesigen Bildschirm direkt aus einem Operationsaal in den USA eine Brustrekonstruktion mit dem Bauchhaut lappen von Prof. Hartrampf übertragen. Ich war von diesem Eingriff einfach überwältigt und habe mir geschworen, das eines Tages auch zu machen. Der Bauchhautlappen(TRAM)-Lappen wurde dann tatsächlich zu einem meiner operativen Schwerpunkte. Viele Jahre später, da war ich schon Universitätsprofessor, ermöglichte mir der Rektor der Medizinischen Fakultät den Wechsel mit meiner Planstelle von der Universitätsklinik für Plastische Chirurgie auf die Universitätsklinik für Frauenheilkunde. Die wollten meine Erfahrung auf dem Gebiet der Brustrekonstruktion dafür nutzen, um ein Gesamtkonzept der Brustkrebsbehandlung in einer einzigen Abteilung zu vereinen: Diagnostik, Chemotherapie, Radiotherapie, Chirurgische Tumorentfernung, Plastisch-Chirurgische Rekonstruktion: all das unter einem Dach.

In Anbetracht der Bürokratie der Großspitäler … wie war denn das möglich?

Na ja, die Idee hatten eigentlich mein Freund und Kollege Prof. Seifert, mit dem ich gemeinsam viele Brustrekonstruktionen gemacht habe, und sein Chef, Prof. Ernst Kubista. Beiden möchte ich hier meinen Dank aussprechen, und natürlich auch Prof. Husslein, der als Klinikchef meinem Wechsel zugestimmt hat.

Daraus schließe ich, dass es Ihnen jetzt gut geht?

Ja, durchaus. Vor einigen Jahren hat es übrigens auch hier einen Personalwechsel gegeben, und meine jetzigen Vorgesetzten Prof. Kölbl und Prof. Singer unterstützen mich in jeder Beziehung, und es herrscht für mich hier eine äußerst angenehme Arbeitsatmosphäre.

Wieso benötigen Sie jetzt noch Unterstützung?

Die Plastische Chirurgie entwickelt sich stetig weiter, und die chirurgischen Erfordernisse ändern sich kontinuierlich. Vor zwanzig Jahren wurde die Mehrheit der von Krebs befallenen Brüste vollständig entfernt, jetzt werden fast 90 % der Operationen brusterhaltend durchgeführt. Sehr oft reicht ein kleiner Volumens Ersatz, um das durch die OP entstandene Gewebedefitzit auszugleichen. Das geht sehr gut mit Eigenfett, und da gibt es noch sehr viel zu erforschen.

Eigenfetttransplantation? Wie nachhaltig ist diese Methode?

Ja. Fett wird ähnlich wie bei einer Fettabsaugung entnommen und das Aspirat schichtweise in die Brust eingebracht. Klingt simpel, ist es aber gar nicht. Wir haben jetzt im AKH ein Projekt laufen, mit welchem die Verbesserung der Einheilrate von transplantiertem Fett durch Zugabe von Blutplättchen erforscht werden soll. So ein Projekt ist sehr aufwändig, und ohne die Unterstützung der Abteilung geht das gar nicht … Mir hilft noch Dr. Lutfi, ein besonders tüchtiger junger Plastischer Chirurg, der für dieses Projekt den Weg aus Deutschland nach Wien gefunden hat. Der hat auch das Cover-Design dieses Buches konzipiert.

Ja, das Cover ist ein echter Eye-Catcher … das war seine Idee? Und das Foto haben wirklich Sie gemacht?

Ja und ja; im Rahmen der wochenlangen Suche nach einem geeigneten Cover fand Dr. Lutfi ein ähnliches Foto von einer betroffenen Künstlerin, die sich geoutet hat, ähnlich wie Angelina Jolie. Und da ich in einem früheren Leben Fotograf war, habe ich ein ähnliches Foto gemacht …

Wie fühlt man sich als Plastischer Chirurg unter Gynäkologen?

Eine etwas heikle Frage … ich arbeite ja mit Spezialisten für Brustkrebs zusammen, die operieren jeden Tag von Krebs befallene Brüste, das ist schon ein gewaltiger Unterschied … ich gehe denen manchmal auf die Nerven, weil meine Lappenoperationen doch etwas länger dauern können. Wie gesagt, es geht mir gut, alle arbeiten mit mir zusammen. Ich habe ja das unglaubliche Glück, mit meiner Arbeit den Krebs-Patientinnen Mut machen zu können und sie bei ihrem Kampf gegen die Folgen der Erkrankung zu unterstützen. Das ist vielleicht das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen meinem Job und dem der Onkologen: Diese heilen/retten, ich stelle wieder her. Sie operieren üblicherweise einmal, ich üblicherweise dreimal, manchmal sogar noch öfter. Onkologen haben 2–12 Wochen Kontakt zu ihren Patientinnen, ich 1–3 Jahre, manchmal sogar länger. Die wechseln – was nicht anders geht – oft den behandelnden Arzt, ich bleibe meinen Patientinnen bis zum letzten Rekonstruktionsschritt erhalten. Ich begleite sie also sehr viel länger, und daraus entstehen manchmal starke Bindungen.

Freuen Sie sich über das Ergebnis einer Brustrekonstruktion mehr als über das einer Schönheitsoperation?

Ich freue mich immer, wenn eine Patientin oder ein Patient glücklich mit dem Ergebnis des Eingriffs ist. Im Fall einer Brustrekonstruktion kommt aber noch etwas dazu: es gibt mir ein tolles Gefühl, wenn eine Patientin nach der letzten Nahtentfernung einfach strahlend zum Fotoshooting kommt … darum habe ich so viele Fotos machen können … die wollen das ja herzeigen …

Das bedeutet, dass Sie mit Ihrer Tätigkeit eigentlich immer Erfolg haben?

Leider kann auch in meinem Bereich etwas misslingen, wenn zum Beispiel ein Lappen wegen schlechter Durchblutung verloren geht. Das ist wirklich furchtbar, aber glücklicherweise sehr selten. Viel schlimmer ist es aber, wenn eine bereits aufwändig rekonstruierte Patientin Monate nach meiner Operation Metastasen bekommt und den Kampf gegen den Krebs dann doch verliert. Da frage ich mich, wie das meine Kollegen verkraften, die erleben das ja viel öfter als ich … Gott sei Dank hat die Abteilung ein Team an Psychologinnen, die den Patientinnen ein enorme Hilfe sind.

Herr Prof. Turkof, das vorliegende Buch ist das 14. Buch, das Sie geschrieben haben, und es hat mit den vorherigen 13 Bänden der Enzyklopaedia Aesthetica, die ausschließlich ästhetisch-chirurgische Themen behandeln, nichts zu tun. Ist die Ästhetische Chirurgie für Sie in den Hintergrund gerückt?

Keine Spur. Im Gegenteil, ich liebe es nach wie vor, Menschen durch Schönheitsoperationen glücklich zu machen. Sie müssen wissen, dass die Rekonstruktive Chirurgie für die Ästhetische Chirurgie schon immer bereichernd gewesen ist. Oft war sie sogar der ihr Ausgangspunkt. Und die Eigenfetttransplantation ist schon jetzt aus der Ästhetischen Chirurgie überhaupt nicht mehr wegzudenken. Man kann mit Eigenfett Brüste ganz natürlich vergrößern, das Gesicht verjüngen und Ungleichheiten korrigieren. Bei der Brustvergrößerung mit Eigenfett gibt es seit 5 Jahren einen regelrechten Boom, weil jetzt die Langzeitkomplikationen der Silikonimplantate bekannt werden und weil Frauen doch lieber eine Brust so vergrößert haben wollen, dass man beim Anfassen keinen harten Untergrund spürt …

Heißt das, dass von Ihrem Forschungsprojekt im AKH auch die Ästhetische Chirurgie profitieren könnte?

Durchaus, aber ich will jetzt noch keine zu großen Versprechungen abgeben. Der 9. Band der Enzyklopaedia Aesthetica, Eigenfetttransplantation, behandelt diesen Themenkomplex doch ganz ausführlich? Ja, das stimmt, aber dieser Band erschien im Jahre 2010. Mittlerweile hat sich gerade auf diesem Gebiet unglaublich viel geändert, was übrigens bei den meisten anderen ästhetischen Eingriffen nicht der Fall ist, da gibt es kaum Neues. Man erkannte beispielweise, dass die anfangs vielgepriesene Stammzellenanreicherung – bei großen zu transplantierenden Fettmengen – für die PatientInnen, wenn überhaupt möglich, fast immer nachteilig ist und dass die Anreicherung mit Blutplättchen bessere Ergebnisse verspricht.

Was genau möchten Sie mit dem Buch erreichen?

Ich will allen Brustkrebspatientinnen mitteilen, dass ihre Brust nach ihrer Brustkrebsoperation wirklich verschönert werden kann, und ich will ihnen auch Mut machen, die Kraft für das Projekt ‚Brustrekonstruktion‘ aufzubringen: Es zahlt sich wirklich aus, und sie müssen Gott sei Dank in Österreich dafür nichts bezahlen, da die Krankenkassen dafür aufkommen …

Herr Professor Turkof, ich wünsche Ihnen viel Glück für das Forschungsprojekt und ich hoffe sehr, dass viele Betroffene das Buch lesen werden
Vielen Dank.